Sek 1: Stufen 9-10
Sek 2: Stufen EF-Q2
Lehrbuch: ΚΑΝΘΑΡΟΣ – Kantharos (neue Ausgabe)
Jeder sei auf seine Art ein Grieche! Aber er sei’s!
(Johann Wolfgang von Goethe)
Goethe war ein bekennender „Fan“ der alten Griechen – aber wie sieht es mit der Begeisterung der heutigen Generation aus? Wir möchten uns an dieser Stelle mit den drei gängigsten (Vor-)Urteilen auseinandersetzen, um ein Plädoyer für Griechisch zu halten:
Griechisch – zu schwer???
Nur auf dem Gymnasium hat man die Chance, mehr als zwei Sprachen zu lernen, und nur auf dem Stadtgymnasium in Dortmund kann man Alt-Griechisch lernen. Das Erlernen jeder neuen Fremdsprache ist lernintensiv, aber Sprachkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation! Die griechischen Buchstaben sind schnell gelernt; einige davon sind bereits aus dem Fach Mathematik bekannt, z.B. α, β, γ aus der Geometrie oder die Kreiszahl π.
Der Satzbau des Griechischen entspricht oft dem Deutschen und wer bereits Latein lernt (was allerdings keine Voraussetzung ist, um Griechisch zu lernen!), dem werden so manche Aha-Erlebnisse beschert, wenn es um die Grammatik geht: Denn AcI, PC und genitivus absolutus (≙ abl. abs. im Lateinischen) kannten beispielsweise schon die alten Griechen. Auch das Vokabellernen fällt leichter als gedacht, und damit kommen wir zum zweiten (Vor-)Urteil:
Griechisch – eine tote Sprache???
Nein, im Gegenteil: Wir sprechen alle Griechisch! Kaum zu glauben, aber wahr: Im Deutschen verwenden wir, ohne es oft zu wissen, unglaublich viele (Fremd-)Wörter und Redensarten, die aus dem Griechischen stammen. Dass die Demokratie die „Herrschaft des Volkes ist“, wissen vermutlich noch die meisten. Aber wie sieht es mit folgenden Begriffen griechischen Ursprungs aus? Der Astronaut ist beispielsweise – wörtlich übersetzt – ein „Sternenseefahrer“, der Dinosaurier eine „schreckliche Eidechse“ oder der Chirurg im wahrsten Sinne des Wortes ein „Handwerker“ (!). Das Gymnasium ist bei den alten Griechen eine Sportstätte gewesen, und da man in der Antike bekanntermaßen „hüllenlos“ Sport betrieb (γυμνός = nackt) – tja, was ist dann wohl das „Gymnasium“, dem eigentlichen Wortsinn zufolge?!
Griechisch ist eine der wenigen Sprachen mit einer 3000-jährigen kontinuierlichen Sprachentwicklung. Altgriechisch ist auch ein Schlüssel für Neugriechisch. Die Wahl des Griechischen bedeutet nicht den Verzicht auf moderne Fremdsprachen, die in der Oberstufe (am Stadtgymnasium: Italienisch) oder im Ausland erlernt werden können. Besonders sprachinteressierte und -begabte Schülerinnen und Schüler haben am Stadtgymnasium außerdem die Möglichkeit, im so genannten „Drehtürmodell“ Französisch und Griechisch gleichzeitig zu lernen.
Griechisch – zu nichts nutze???
Keiner weiß, was der Arbeitsmarkt in ein paar Jahren erfordert oder verlangt. Altgriechisch kann man in der Tat nicht unmittelbar zu etwas „gebrauchen“. Griechisch steht für eine (humanistische) Bildung ohne Verfallsdatum und ist eine sehr gute Voraussetzung für ein „Lernen für Europa“. Die Auseinandersetzung mit der griechischen Antike bedeutet Persönlichkeitsbildung statt einseitiger Berufsausbildung, Gewissensbildung statt bloßer Wissensanhäufung. Griechisch schult das Verständnis und den reflektierten Umgang mit der deutschen Sprache.
Im Griechisch-Unterricht beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit existentiellen Fragen (Was ist Glück? Was ist Gerechtigkeit? Ist der Mensch das Maß aller Dinge? Woher kommen wir, wo gehen wir hin?), schärfen ihr eigenes Urteilsvermögen, lernen die geistigen Ursprünge Europas kennen und lesen bedeutende Texte, die auch heute nichts an ihrer Aktualität verloren haben.
Dadurch verschaffen sie sich einen Zugang zum Anfang und gleichzeitig zu einer hohen Stufe der Philosophie, des Mythos, der Literatur, der Geschichtsschreibung, der Politik und des Theaters: In Homers Ilias und Odyssee begegnen sie dem zornigen Achill und dem trickreichen Odysseus, an Sophokles’ Ödipus oder an Herodots Kroisoslegende lernen sie, wie unsicher und beschränkt menschliches Wissen und Glück ist. Am Melierdialog des Thukydides können Schüler eindringlich die Problematik der Macht als Recht des Stärkeren erkennen. Mit Thales fragen sie nach dem Anfang der Welt, mit Sokrates kümmern sie sich um den Menschen und seine Seele. Aristophanes’ Komödien bieten ihnen derbe Komik, Sappho und Alkaios wunderschöne Lyrik. Auch das Neue Testament ist auf Griechisch geschrieben, „Evangelium“ bedeutet beispielsweise „frohe Botschaft“.
Atomtheorie, Astronomie, Mathematik, Physik oder Chemie – ohne die griechischen Naturphilosophen undenkbar! So erkannte schon Pythagoras im 6. vorchristlichen Jahrhundert die Kugelgestalt der Erde. Und Demokrit lehrte, dass die Materie aus vielen, nicht teilbaren Atomen besteht.
Wir leben in einer Demokratie, und auch das verdanken wir den alten Griechen! Die Texte der antiken Philosophen, Dichter, Historiker, Politiker und Redner von damals bieten uns die einmalige Chance, unsere eigene Gesellschaft (besser) zu verstehen, zu analysieren und ja, auch zu kritisieren. Sie fordern Menschen damals wie heute zur konstruktiven und kreativen Auseinandersetzung heraus.
Nur wer seine eigene Geschichte, seine eigene Kultur samt ihren Wurzeln kennengelernt hat, kann sie, aber auch andere schätzen lernen. „Γνῶθι σεαυτόν (lies: „gnōthi sauton“) – erkenne dich selbst!“ – Diese Inschrift am Apollon-Tempel des Orakels von Delphi hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren.
Altgriechisch wird am Stadtgymnasium regulär in der Sek. I vierstündig unterrichtet, so dass das Graecum bei Weiterwahl in der Oberstufe (dreistündig) und bei ausreichenden Leistungen am Ende der Jahrgangsstufe 12 vergeben wird. Das Graecum ist Voraussetzung für einige Studiengänge wie z.B. Theologie, Latein oder Archäologie, für verschiedene Promotionsstudiengänge (bspw. Philosophie), teilweise Ersatz für das Latinum und nützlich für das Verständnis medizinischer und wissenschaftlicher Fachtermini. Bei Bewerbungen kann es ein Kriterium sein, das einen positiv von anderen unterscheidet.
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